Wie wenige Wirtschaftsvertreter die Mindestlohn-Debatte beherrschen

Die ZEIT meint, wer lernen will wie man ein Gesetz im eignen Interesse formulieren lässt, muss jetzt nach Brüssel reisen.

 „Mindestens 15 000 Lobbyisten verstopfen dort Restaurants und Empfänge; besonders viele sind es, wenn Gesetzesänderungen anstehen, die Banken und Versicherungen betreffen. Vom 13. Februar an kann man ihnen bei der Arbeit zusehen, bei der vierten sogenannten Public-Affairs-Konferenz – hübscher Titel, nicht? Es ist ein Tummelplatz für alle, die EU-Gesetzesmacher beeinflussen wollen: PR-Agenturen, Industrieverbände, Anwälte.“ (Tatje, In: DIE ZEIT. 06.02.14. )

Hauptsächlich sind es Wirtschaftsinteressen, die sich dann in der Gesetzgebung widerspiegeln sollen. Die Mindestlohndebatte wurde in den USA vor den anstehenden Midterm Elections angestoßen. Auch dort gibt es bereits Unkenrufe gegen einen flächendeckenden Mindestlohn. Die New York Times sagt dazu „Fight Over Minimum Wage Illustrates Web of Industry Ties“. Sie klärt uns über die Gemengelage im Kampf gegen den Mindestlohn auf. In Zeitung, Web und TV werden in den USA wohl häufig Warnungen das Employment Policies Institute herangezogen. Das Wirtschaftsforschungsinstitut prognostiziert im Falle eines gesetzlich festgelegten Mindestlohns eine lahmende US-Wirtschaft, steigende Armut und – Arbeitslosigkeit. Die NYT klärt jetzt auf welche Interessen hinter solchen Forschungsergebnissen stecken.

„Even if the legislation never passes – and it is unlikely to, given the polical divide in Congress – millions of dollars will be spent this year on lobbying firms, nonprofit research organisations and advertising campaigns, as industry groups like the National Restaurant Association and the National Retail Federation try to bury it.“ (Lipton. In: NYT. 09.02.14)

Das in der US-Debatte viel zitierte Wirtschaftsforschungsinstitut Employment Policies Institute werde vom Werbe- und PR-Fachmann Richard B. Berman geleitet. Er hat außerdem das  NGO Center for Consumer Freedom gegründet und ist damit gegen Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden und verbindliche Kalorienangaben bei Fast Food vorgegangen. Die Zeitung berichtet dass Berman´s Unternehmen in den letzten Monaten ganzseitige Werbeanzeigen bei ihr und dem Wall Street Journal geschaltet habe.

„What is most important, said Lisa Graves, the executive director of an organisation responsible for the online publication PR Watch, is that newspapers derail Employment Policies Institute´s corporate ties when they cite research it publishes. Such disclosure happened in less than 20 percent of the cases over a three-year period, an analysis by PR Watch found.” (Lipton. In: NYT. 09.02.14)

Zudem hat das in Nachbarschaft zum Weißen Haus gelegene Büro eine Metro-Station am Kapitol mit einem riesigen Foto der Demokratin Nancy Pelosi versehen. Sie ziere dabei der Spruch „Teens Who Can´t Find a Job Should Blame Her.“

Doch das ist nicht genug. Das Employment Policies Institute habe wohl gar keine eigenen Angestellten. Gründer Berman´s Werbefirma stellt dem Institut die Dienste seiner Angestellten in Rechnung. Dies mache das nonprofit Institute zu einem gewinnbringenden Unternehmen für Mr. Berman. Nach Berechnungen der NYT konnte seine Werbefirma im Jahr 2012 dem nonprofit-Institut  $1,1 Millionen in Rechnung stellen.

„But its tax return shows that the $2.4 million in listed donations received in 2012 came from only 11 contributors, who wrote checks for as much as $500,000 apiece.”(Lipton. In: NYT. 09.02.14)

Für Berman, Leiter des Instituts und Chef der betreffenden Werbefirma ein lukratives Geschäft. Forschungsdirektor des Instituts, Michael Saltsman, 30 Jahre alt  und mit „undergraduate degree in economics“, stand zuvor beim Bundesbüro für Arbeitsmarktstatistik [federal bureau of Labor Statistics] in Lohn und Brot. Er entwift laut NYT dutzende Briefe an Zeitungsredakteure und Meinungsartikel, in denen er die Ansicht vertritt dass ein Mindestlohn mehr Schaden als Nutzen bringt. Der größte Teil der Instituts-Berichte seien von außen stehenden Akademikern vorbereitet worden. Personen wie „Joseph J. Sabia, .. associate professor of economics at San Diego State University“ hat demnach in den letzten acht Jahren mindestens $180,000 von Mr. Berman´s Gruppe bekommen, um sieben verschiedene Berichte abzuliefern. Jeder Bericht komme zu dem Schluss dass eine Erhöhung des Mindestlohns mehr Nachteile als Vorteile habe.

‹‹”There is never a good time to raise the minimum wage,” Mr. Sabia said at a briefing in the Longworth House Office Building late last month that was co-sponsered by the institute, as he laid out the findings of his newest report to Capitol Hill staff members and reporters.“You are not reaching the poor workers you want to help.”›› (Lipton. In: NYT. 09.02.14)

Sabia betont jedoch die Unabhängigkeit seiner Forschung, die akademische Publikationskriterien erfülle. Wirtschaftsprofessor Saul D.Hoffman der University of Delaware meint dass Sabias-Paper von 2012 basiere womöglich unbeabsichtigt auf zu geringer Datenmenge. Die korrigierte Fassung würde schließlich zeigen dass die Mindestlohn-Erhöhung im Staat New York im Jahr 2004 keine negativen Effekte auf die Beschäftigungsrate hatte –entgegengesetzt zur Schlussfolgerung des Instituts.

Berman wehrt sich dabei gegen jede Behauptung, seine Berichte seien tendenziös oder würden auf falschen Daten beruhen.

Zur gleichen Zeit werden passende Studienergebnisse von Lobbyisten jeglicher Colour herangezogen.

‹‹„Once you have the study, you can point it to it to prove your case – even if you paid to get it written,“ said one lobbyist, who asked not to be named because his clients rely on him to use this technique.›› (Lipton. In: NYT. 09.02.14)

So ist die Mindeslohn-Debatte längst in Deutschland angekommen. Kolja Rudzio vertritt den Standpunkt „Der Mindestlohn wird nicht verhindern, dass Menschen arbeiten und trotzdem Harz IV benötigen.“

„Es wäre besser, die Prioritäten zu überdenken: Millionen Menschen, die Masse der Aufstocker eingeschlossen, fehlt es schlicht an Arbeit und deshalb an Arbeitslohn. Es ist daher leichtfertig, wenn im linken Spektrum viele sagen, der Mindeslohn solle ruhig noch höher sein, um die Jobs, die das womöglich koste, sei es nicht schade. Auch die Bundesregierung macht es sich zu leicht, wenn sie glaubt, mit neuen Lohnvorgaben und neuen Rentenabgaben (die Arbeit verteuern) würde sie das Wichtigste schon anpacken. Was tut sie, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen? Wenig bis nichts.“ (Rudzio. In: DIE ZEIT. 06.02.14. S.31)

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