Während die Bundesagentur für Arbeit (BA) das Winterwetter für ihre neueste Statistik von 3,14 Millionen Arbeitslosen in Deutschland verantwortlich macht, sieht der französische Ökonom und Wirtschafts-Professor Piketty die Gesetze des freien Marktes für eine wachsende soziale Ungleichheit verantwortlich. Spiegel Online hat vor einer Woche über eine weltweite Steigerung der Arbeitslosenquote um 5 Millionen berichtet. „Insgesamt seien jetzt 202 Millionen Menschen ohne Job, heißt es im jüngsten ILO-Arbeitsmarktbericht.“ (Spiegel Online. 20.01.14) Über die Zukunftsprognose dieser UN-Studie wird nicht berichtet:
“If current trends continue, global unemployment is set to worsen further, albeit gradually, reaching more than 215 million jobseekers by 2018.“ (Global Employment Trends 2014. S.3)
Die gegenwärtige Situation nutzt Edsall in der New York Times für eine Rezension zu Piketty´s aktuellem Buch Capital in the Twenty-First Century. Edsalls Überschrift Capitalism vs Democracy erinnert an Augsteins jüngste Publikation: Sabotage. Warum wir uns zwischen Kapitalismus und Demokratie entscheiden müssen. Doch jetzt zur Edsalls Rezension:
Piketty behaupte die kapitalistische Dynamik treibe mächtige Kräfte voran, die eine Bedrohung für demokratische Gesellschaften darstellen. Unternehmer werden die Arbeiterschaft immer weiter dominieren, heißt es weiter. Solange Gehaltszahler ihre Bezahlung selbst bestimmen können werde es dahingehend keine Grenze geben, bis ihnen Zwangsabgaben auferlegt werden.
In seinem Buch, vor vier Monaten in Frankreich veröffentlicht und im März in englischer Sprache erhältlich, prophezeit der Ökonom unserer traditionell liberalen Wirtschaftspolitik bzgl. Ausgaben, Besteuerung und Regulation, ein Scheitern zur Minderung der Ungleichheit. Zur Unterlegung seinen Thesen hält er zahlreiche Vorlesungen in französischer und englischer Sprache ab.
‹‹Piketty proposes .. that the rise in inequality reflects markets working precisely as they should: „This has nothing to do with a market imperfection: the more perfect the capital market, the higher” the rate of return on capital is in comparison to the rate of growth of the economy. The higher this ratio is, the greater inequality is.›› (Edsall, In: NYT. 28.01.14)
Branko Milanovic, Ökonom in der Forschungsabteilung der Weltbank, lobt das Buch als eines der besten innerhalb der letzten Jahrzehnte, welches mit zu einem Umbruch ökonomischen Denkens beitrage.
Kernargument ist u.a. dass sich die soziale Gleichheit in den Jahren des Wirtschaftswachstums vom I. Weltkrieg bis in die 1970er Jahre höchstwahrscheinlich nicht wiederholen wird. Diese Zeitspanne sei eine Ausnahme eines tief verwurzelten Musters sozialer Ungleichheit. Diese glücklichen Jahrzehnte seien vor allem das Ergebnis zweier Weltkriege und der der Großen Depression. Erstarkende Gewerkschaften, die Teilung des aufstrebenden Wohlstandes mit den Arbeitern und starke Demokraten ließen einen Angriff auf den New Deal selbst für den wieder gewählten republikanischen Präsidenten Eisenhower als aussichtslos erscheinen. Doch diese Zeiten seien einmalig gewesen, da das Wirtschaftswachstum den Kapital-Gewinn nach Abzug der Steuern überstiegen habe. Wenn die Kapitalgewinne jedoch größer als das Wirtschafswachstum sind, so sei dies Piketty´s wesentliches Problem zur Entstehung sozialer Ungleichheit.
Weltbänker Milanovic schreibt in seinem Review, dies führe zu einer Änderung der Einkommensverteilung zu Gunsten des Kapitals. Wenn Kapitalerträge unbestritten konzentrierter als die Einnahmen durch Arbeitsleistung sind
“…personal income distribution will also get more unequal – which indeed is what we have witnessed in the past 30 years.“ (Edsall, In: NYT. 28.01.14)
Der einzige Weg diesen Prozess aufzuhalten sei eine globale Vermögenssteuer, bei der keine Schlupflöcher möglich seien.
„A global tax, in this scheme, would restrict the concentration of wealth and limit the income flowing to capital.“ (Edsall, In: NYT. 28.01.14)
Piketty würde eine jährlich angepasste Steuer auf Aktienvermögen, Staatsanleihen, Eigentum und anderen Posten erheben, die üblicherweise vor dem Verkauf nicht besteuert sind.
Seine Diagnose hilft den jüngsten Einbruch des nationalen US-Einkommens durch Arbeit und parallelen Anstieg von Kapitaleinkünften zu erklären.
Fig. 2: Nonfarm Business Sector: Labor Share U.S. Department of Labor. Quelle: NYT. 28.01.14
Daraufhin kommt Edsall in seinem NYT– Opinion Editorial auf die weltweite Zunahme der Arbeitslosenquote zu sprechen.
“Während der Anteil der Arbeitseinkommen am Weltsozialprodukt seit drei Jahrzehnten sinkt, wächst das Gewicht des Kapitals – die globalen Finanzströme schwellen weiter an…In Davos war wenig Hoffnung zu spüren, dass der Siegeszug der Vermögen gegenüber den Löhnen bald aufhört…Roboter und Computer würden mit wachsendem Tempo weitere Jobs ersetzen, meinte der Aufsichtsratschef von Google – bis hin zu denen von Ärzten, die Diagnosen stellen.” (Heuser. In: Die ZEIT. 30.01.14. S.19)
Dies kommt zu einer Zeit, in der die Arbeitsagentur schärfere Harz IV- Regeln fordert und Jobcenter immer empfindlichere Sanktionen gegen unwillige Hartz-IV-Bezieher verhängen. (Bild. 22.01.14)
Weiter unten in Edsalls Rezension wird die Einschätzung namhafter Ökonomen und Wirtschaftswissenschaftler zu Pikettys Ausführungen beschrieben.
Siehe auch hierzu:
- Vergleich in der Euro-Zone: Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland am größten (Spiegel Online. 26.02.14)
- Reichtum in Deutschland: Privatvermögen übersteigt Zehn-Billionen-Grenze (Spiegel Online. 28.02.14)
- Neue Reichtumsdebatte: Etwas ist faul im Kapitalismus (Spiegel Online. 23.04.14)
- Debatte über Ungleichheit: Starökonom Piketty weist Kritik an Daten zurück (Spiegel Online. 30.05.14)
- Soziale Spaltung: Europa zerfällt zunehmend in Nord und Süd (Spiegel Online. 15.09.14)